Besteht das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers im gleichen Betrieb mehr als 6 Monate und weist der Arbeitgeberbetrieb eine Beschäftigtenzahl von mehr als zehn Arbeitnehmern im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) auf, findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Der Arbeitgeber hat dann, wenn der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung Kündigungsschutzklage erhebt, darzulegen und zu beweisen, dass ein Kündigungsgrund besteht. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt wegen einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers, ist der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess vor dem Arbeitsgericht verpflichtet, darzulegen, welche Pflichtverletzung dem Arbeitnehmer vorgeworfen wird. Wenn der Arbeitnehmer diese Pflichtverletzung bestreitet, hat der Arbeitgeber deren Vorliegen zu beweisen.

Diese grundsätzliche Beweislastverteilung stellt davon betroffene Arbeitgeber und Arbeitnehmer dann vor große Herausforderungen, wenn eine sogenannte „negative Tatsache“ zu beweisen ist. Dieser Fall liegt beispielsweise vor, wenn der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer vorwirft, Tatsachen geäußert zu haben, die unwahr sein sollen. Der Arbeitgeber ist dann nicht lediglich verpflichtet, zu beweisen, dass die Äußerung gefallen ist, sondern auch, dass diese nicht der Wahrheit entspricht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte am 16.12.2021 einen Fall zu entscheiden, in dem einer Arbeitnehmerin vorgeworfen wurde, bewusst unwahre Tatsachen über eine Kollegin verbreitet zu haben. Die Klägerin hatte unter anderem behauptet, dass eine Kollegin von ihr über Vorwürfe der sexuellen Belästigung informiert, hierauf allerdings untätig geblieben sei. In der betreffenden Entscheidung hat das BAG klargestellt, dass es auch für den Beweis einer negativen Tatsache bei der Beweislast des Arbeitgebers verbleibt, der Arbeitgeber also beweisen muss, dass die Äußerung der Arbeitnehmerin nicht zutrifft. Das BAG stellte allerdings klar, dass den Arbeitnehmer in derartigen Fällen eine sogenannte sekundäre Darlegungslast trifft. Der Arbeitnehmer darf sich also nicht nur darauf beschränken, zu behaupten, dass die von ihm geäußerte Tatsache zutreffend ist. Er hat vielmehr im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast konkret im Hinblick auf räumliche, zeitliche und inhaltliche Umstände darzustellen, welcher (wahre) Sachverhalt seiner Äußerung konkret zugrunde liegt. Im entschiedenen Fall verlangte das BAG von der Klägerin, konkret dazu vorzutragen, wann ihre Kollegin über welche Vorwürfe im Einzelnen von wem unterrichtet worden ist. Der klagenden Arbeitnehmerin ist dies nicht gelungen, die Darstellung des Arbeitgebers wurde dem Urteil als zutreffend zugrundegelegt.

Aus der Entscheidung des BAG ist ersichtlich, dass nicht deswegen, weil dem Arbeitgeber der Beweis einer negativen Tatsache schwerfallen wird, die Beweislast modifiziert wird. Das BAG knüpft diese hohe Beweislast des Arbeitgebers allerdings an eine ebenso hohe Darlegungslast des Arbeitnehmers und versucht so, zu einem angemessenen Ausgleich der Interessen zu gelangen. Äußern sich Arbeitnehmer ins Blaue zu angeblichen Pflichtverletzungen von Kollegen oder des Arbeitgebers, ohne diese im Prozess verifizieren zu können, riskieren diese also den Verlust des Arbeitsplatzes. Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die vom Ausspruch verhaltensbedingter Arbeitsvertragskündigungen betroffen sind, sollten die dargestellte Beweislastverteilung daher im Auge behalten und sich im Streitfall qualifiziert anwaltlich beraten lassen.

Thomas Wöhrle
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht