Sind in einem Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt und besteht das Arbeitsverhältnis des betroffenen Arbeitnehmers mehr als 6 Monate, ist das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Im Falle des Ausspruchs einer krankheitsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber dann, wenn der Arbeitnehmer Klage gegen die Kündigung zum Arbeitsgericht erhebt, die soziale Rechtfertigung der Arbeitsvertragskündigung nachweisen.

Ein Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus krankheitsbedingten Gründen besteht zum einen, wenn feststeht, dass der Arbeitnehmer auf Dauer nicht wieder arbeitsfähig werden wird oder dessen Wiedergenesung über einen längeren Zeitraum ungewiss ist. Zum anderen liegt ein Grund zur krankheitsbedingten Kündigung vor, wenn häufige Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers eine negative Gesundheitsprognose für die Zukunft indizieren und gleichzeitig betriebliche Interessen hierdurch erheblich beeinträchtigt sind. Im Regelfall ist hiervon auszugehen, wenn für einen Zeitraum von 3 Jahren Lohnfortzahlungskosten von jeweils mehr als 6 Wochen anfallen.

Selbst wenn diese Voraussetzungen als gegeben beurteilt werden können, führt dies nicht zwingend zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung und zum Obsiegen des Arbeitgebers im Rechtsstreit. Vielmehr sind die Maßgaben der Prävention und des Eingliederungsmanagements zu berücksichtigen, die gesetzlich zwar in § 167 SGB IX geregelt und damit grundsätzlich dem Schwerbehindertenrecht zugeordnet sind. Die Maßgaben des betrieblichen Eingliederungsmanagements gelten allerdings auch für nicht behinderte oder schwerbehinderte Menschen und sind damit bei jeder krankheitsbedingten Kündigung zu berücksichtigen. Unter der Maßgabe, dass der Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung für den Arbeitgeber das letzte Mittel der Wahl sein muss, ist vor der Entscheidung über eine Arbeitsvertragskündigung daher ein betriebliches Eingliederungsmanagement (beM)  durchzuführen. Dieses Verfahren stellt von der Einleitung bis zur Durchführung hohe formelle Anforderungen an den Arbeitgeber. Zweck des Verfahrens ist die Ermittlung von innerbetrieblichen, organisatorischen oder technischen Maßnahmen, mit denen der Anfall weiterer Arbeitsunfähigkeitszeiten verhindert und so der Kündigungsausspruch vermieden werden kann. Das Unterlassen der Durchführung des beM führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung. Von der Rechtsprechung ist allerdings seit Jahren anerkannt, dass der Arbeitgeber, der die Durchführung des beM unterlässt, im Kündigungsschutzprozess darlegungs- und beweisbelastet dafür ist, dass auch die Durchführung eines beM nicht zum Erhalt des Arbeitsplatzes und zur Vermeidung neuerlicher Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt hätte. Abhängig von der Betriebsgröße und der Art der gesundheitlichen Einschränkungen des Arbeitnehmers sind diese Anforderungen für den Arbeitgeber anspruchsvoll, sodass eine krankheitsbedingte Kündigung, die ohne Durchführung des beM ausgesprochen worden ist, vor dem Arbeitsgericht im Regelfall schwer durchsetzbar sein wird.

Die Rechtsprechung hierzu entwickelt sich stetig fort. Zuletzt hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Entscheidung vom 15.12.2022 darüber zu urteilen, welchen Einfluss die Tatsache hat, dass das Inklusionsamt, das vor der krankheitsbedingten Kündigung eines schwerbehinderten Menschen zu beteiligen ist, dem Kündigungsausspruch zugestimmt hat. In der zitierten Entscheidung hat das BAG sich von seiner bisherigen Rechtsprechung teilweise distanziert. Das BAG hat klargestellt, dass auch dann, wenn eine Zustimmung des Inklusionsamts zu einer krankheitsbedingten Arbeitsvertragskündigung eines schwerbehinderten Menschen vorliegt, hieraus nicht zwingend darauf zu schließen ist, dass ein (unterlassenes) beM erfolglos gewesen wäre. Diese Entscheidung verdeutlicht, dass die Hürden für den Ausspruch einer personenbedingten Arbeitsvertragskündigung für den Arbeitgeber hoch sind und eine strukturierte Vorarbeit erforderlich ist, bevor an den Kündigungsausspruch zu denken ist. Arbeitgebern oder Arbeitnehmern, die mit einem derartigen Sachverhalt konfrontiert sind, ist anzuraten, die Beratung eines spezialisierten Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen.

Thomas Wöhrle
Fachanwalt für Arbeitsrecht