Wenn das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers bei seinem Arbeitgeber länger als 6 Monate besteht und im Unternehmen mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) tätig sind, besteht für den Arbeitnehmer im Falle des Ausspruchs einer Arbeitgeberkündigung die Möglichkeit, die Wirksamkeit der Kündigung im Wege einer Kündigungsschutzklage vom Arbeitsgericht überprüfen zu lassen. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, die soziale Rechtfertigung der Kündigung als Voraussetzung für deren Wirksamkeit darzulegen und zu beweisen. Im Falle der betriebsbedingten Kündigung ist in einer ersten Stufe zu prüfen, ob die Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer entfällt. In den letzten Monaten ist festzustellen, dass vermehrt betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden, denen wirtschaftliche Gründe, mithin die Notwendigkeit der Anpassung des Personalstandes an ein geringer werdendes Auftragsvolumen, Betriebs(teil)schliessungen oder grundsätzliche Erwägungen zur Kostenreduzierung zugrunde liegen.
Auch wenn das Arbeitsgericht im Falle einer betriebsbedingten Kündigung eine sehr weite Prüfungskompetenz hat, ist der Kernbereich der unternehmerischen Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung nach wie vor entzogen. Dies ist für betroffene Arbeitnehmer oft schwer nachvollziehbar, da Arbeitgeberentscheidungen in Einzelfällen für Außenstehende nicht auf den ersten Blick wirtschaftlich sinnvoll erscheinen, zum Beispiel weil diese – wie bei der Verlagerung von Aufgaben zu konzernangehörigen Drittunternehmen – sogar mit (vorübergehenden) Mehrkosten verbunden sein können. In Verfahren vor dem Arbeitsgericht wird daher häufig diskutiert, ob der Wegfall des Bedürfnisses zur Beschäftigung des Arbeitnehmers, also die Unternehmerentscheidung selbst, „dringend“ sein muss, wie sich aus der Formulierung des § 1 KSchG herleiten lassen könnte. Die vielfach anzutreffende Argumentation dahingehend, dass das Beschäftigungsbedürfnis nicht entfallen ist, weil das Unternehmen nicht in seiner Existenz bedroht ist oder nicht über einen nachhaltigen Zeitraum laufend Verluste zu erwarten sind, ist aus Sicht des Arbeitnehmers nachvollziehbar, von den Arbeitsgerichten allerdings nicht zu berücksichtigen. In einer jüngeren Entscheidung vom 28.02.2023 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) seine bisherige Rechtsprechung bekräftigt und ausgeführt, dass der Arbeitgeber durch die Vorgaben des KSchG in der rechtlichen und organisatorischen Form der Erledigung seiner Aufgaben nicht eingeschränkt wird. Die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers, Aufgaben nicht mehr weiter bearbeiten zu lassen, ist weder bei der Beurteilung, ob ein hinreichender Kündigungsgrund vorliegt, noch im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Das BAG hat festgestellt, dass es nicht Aufgabe der Rechtsprechung ist, dem Arbeitgeber eine „bessere“ oder „richtigere“ betriebliche Organisation vorzuschreiben. Dass eine betriebliche Organisationsentscheidung, die zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für einen oder mehrere Arbeitnehmer führt, nicht zeitlich dringend, wirtschaftlich nicht zwingend oder möglicherweise sogar wirtschaftlich nicht sinnvoll war, reicht also nicht aus, um einen Kündigungsgrund zu verneinen. Ob der Arbeitgeber beispielsweise entscheidet, zwischen Konzernunternehmen Aufgaben neu zu verteilen, ist gerichtlich grundsätzlich nicht überprüfbar – was für Betroffene Arbeitnehmer durchaus unbefriedigend sein kann.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass jedes unsinnige unternehmerische Konzept von der Rechtsprechung abgesegnet werden müsste. Die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers findet vielmehr ihre Grenze, wenn mit der Entscheidung die Grenze zur Willkür überschritten wird. Es steht den Arbeitsgerichten zwar nicht zu, sich an die Stelle des Arbeitgebers zu setzen und betriebliche Organisationsentscheidungen neu zu treffen. Dann allerdings, wenn die Entscheidung offensichtlich lediglich dazu dient, einen oder mehrere Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, ist die Eingriffsschwelle für die Arbeitsgerichte eröffnet.
Dass diese Schwelle überschritten ist, hat im Prozess der Arbeitnehmer in vollem Umfang darzulegen und zur Überzeugung des Gerichts zu beweisen. Erst dann, wenn dieser Beweis geführt ist und sich aus der Beweiswürdigung ergibt, dass die Arbeitgeberentscheidung unsachlich, unvernünftig und willkürlich war, kann das Arbeitsgericht davon ausgehen, dass ein Grund zur betriebsbedingten Kündigung im Sinne § 1 KSchG nicht vorliegt. Da durch diese Rechtslage ein Kündigungsschutzrechtsstreit bereits bei der ersten Prüfungsstufe dazu, ob überhaupt ein Kündigungsgrund besteht, entscheidend beeinflusst werden kann, ist von einer betriebsbedingten Kündigung betroffenen Arbeitgebern oder Arbeitnehmern dringend anzuraten, sich qualifiziert anwaltlich beraten zu lassen.
Thomas Wöhrle
Fachanwalt für Arbeitsrecht