Sollen langjährigbeschäftigte Arbeitnehmer verhaltensbedingt gekündigt werden und ist auf das Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) anwendbar, weil der Arbeitgebermehrals zehn Arbeitnehmer im Sinne des KSchG beschäftigt, sind die Anforderungen an die soziale Rechtfertigung der Kündigung im Regelfall außergewöhnlich hoch. Die herrschende Rechtsprechung begründet dies damit, dass der Arbeitnehmer sich durch die langjährige Betriebstreue einen sehr hohen sozialen Besitzstand erdient hat und daher im Regelfall das Interesse des Arbeitnehmers am Arbeitsplatzerhalt das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegt. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Arbeitsverhältnisbis zum Kündigungsausspruch unbelastet war, mithin keine einschlägigen arbeitsvertraglichen Abmahnungen vorliegen.
Selbst wenn dem Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist, die als solche den Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung – möglicherweise sogar als außerordentlich fristlose – rechtfertigen würde, scheitert die Wirksamkeit der verhaltensbedingten Kündigungdann oftmals an einer Interessenabwägung, die zugunsten des Arbeitnehmers ausfällt. In der jüngeren Vergangenheit hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu mehrere Entscheidungen getroffen. Hiervon hat insbesondere der vomBAG im Jahre 2010 entschiedene „Fall Emmely“ großen Anklang in der
Presse gefunden. Dort hat trotz festgestellter schwerwiegender vorsätzlicher Pflichtverletzungen die vomBAG angestellte „auf den Einzelfallbezogene Prüfung und Interessenabwägung“ zum Erhalt des Arbeitsplatzes geführt.
Das Urteil wurde in Veröffentlichungen oftmals verkürzt und unzutreffend dargestellt, sodass derEindruck erweckt worden war, dass es faktisch unmöglich ist, sich von einem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer zu trennen – selbst wenn diesem schwerwiegende und vorsätzliche Pflichtverletzungen vorzuwerfen sind. Vor diesem Hintergrund verdient eine aktuelle Entscheidung des BAGvom 13.12.2018 Beachtung. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte ein seit 11Jahren beschäftigter und zwei Kindernunterhaltspflichtiger Arbeitnehmer über den Zeitraum von mehreren Jahren Aufzeichnungen zu Überstunden vorsätzlich fehlerhaft ausgefüllt und hier durch Zuschläge unberechtigterweise erhalten. Aufgrund des speziellen Sachverhalts (derArbeitnehmer hatte geltend gemacht, dass ihm dieses Vorgehen durch eine Personalreferentin erlaubt wurde) war vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung des BAG zuerwarten, dass die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers ausfallen würde.
In dieser Form hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg zunächst tatsächlich entschieden. Im Urteil vom13.12.2018 stellte das BAGals Revisionsgericht zunächst klar, dass der vorsätzliche Verstoß gegen die Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeitkorrekt zu dokumentieren, grundsätzlich einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellt. Im Rahmen der Interessenabwägung wurde zu Lasten des Arbeitnehmers erschwerend berücksichtigt, dass diesem als Abteilungsleiter und Vorgesetztem eine Vorbildfunktion zukommt. Aufschlussreich ist die Entscheidung des BAG, weil das BAG der Argumentation des Arbeitnehmers, dass ihm der Betrag, den er sich durch die fingierten Überstunden erschlichen hat, aus anderen Gründen zugestanden hat, eine klare Absage erteilt und diesen nicht zugunsten des Arbeitnehmers gewürdigt hat.
Das BAG führte explizit aus,dass dem Arbeitnehmer nicht zugutekommt, dass er sich ungerecht behandelt und zu den erschlichenen Forderungen berechtigt fühlt oder er zu seinem Handeln durch eine Personalreferentin der Arbeitgeberin veranlasst worden ist. Die Interessenabwägung fiel z uLasten des Arbeitnehmers aus, die Kündigung war wirksam. Damit ist festzustellen, dass das BAG den Eindruck der„Kündigungssicherheit“ langjährig beschäftigter Arbeitnehmer, der durch Entscheidungen in den Vorjahrenteilweise entstanden ist, durch dieses Urteil zugunsten der Arbeitgeberseite korrigiert hat. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollte nsich vor diesem Hintergrund im Klaren darüber sein, dass vorsätzliche und systematische Pflichtverletzungen, durch die der Arbeitnehmer sich finanzielle Vorteile verschafft, im Regelfall auch beilangjährig Beschäftigten zum Verlust des Arbeitsplatzes führen.
Thomas Wöhrle
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht